Rösler & Jauernig 1904 auf dem Grossglockner
Kurz und gut, damit die Rädchen meines alten Rösler & Jauernig 1904 (Javurek) nicht einrosten, ist hin und wieder eine Spritztour angesagt. Für die Vorbereitung meiner Fahrt zum Großglockner benötigte ich zu meinem Leidwesen unfassbare zehn Tage. Zu verdanken hatte ich das dem Umstand, dass ich den schon weit gereisten Peter Hostalek (Hosta) aus Budweis eingeladen hatte mitzukommen. Und vor dem wollte ich mir natürlich keine Blöße geben. Zugleich war dieser Alpentrip als Probelauf für das „Rennen“ Paris-Wien 2012 gedacht, das ich zu Ehren des 110. Jubiläums dieses Events in diesem Frühjahr ausgeschrieben hatte. Für Peter, den zweiten gemeldeten Teilnehmer, der mit dem Zusammenbau seiner Original Laurin-Klement, Baujahr 1901, gerade so gut wie fertig war, würde dies sicherlich eine gute Erfahrung sein.
Eine kleinere Generalüberholung der Maschine begann mit der Ergänzung der fehlenden Drahtspeichen und einer Umzentrierung. Schon nach 4000 km hatten die Kugelrollenlager der Wellen nichts mehr, in dem sie sich hätten drehen können. Die Bolzen der Pedale mussten verlängert und die Trittflächen der Pedale mit einer harten Elektrode geschweißt werden. Einen Magnetzünder mit steuerbarer Frühzündung besaß meiner Javurek nur im ersten Betriebsmonat, nach seinem Kollaps musste ich ihn durch einen anderen aus einem Stationärmotor ersetzen, der allerdings etwas allergisch auf Regentropfen reagierte. Daher musste auch der Magnetzünder generalüberholt werden. Zur Erreichung einer gefühlvolleren Lenkung wurde der Rahmen noch um die Hebel der Frühzündung und des Startvergasers ergänzt, die sich in der Praxis am Ende sehr bewähren sollten. Zur Vorbereitung gehörten auch Belastungstests auf einem kurzen Abschnitt mit einer 11-%-Steigung bei Lodenice. Auf dem Großglockner aber sind es 16 km (!) mit 10-%-Steigung, stellenweise sogar mit 12 %. Daher nahm ich als Reserve noch eine Keilriemenscheibe mit einem um 15 % verringerten Durchmesser und für den Fall der Fälle auch einen von den Besserwissern der Branche verschmähten Gummiriemen mit. In einem Army-Shop ließ ich zehn Riesen für Ausstattungskram. Na, hoffentlich werd’ ich das auch noch zwischen Paris und Wien gebrauchen können.
Am Mittwochabend rufe ich Hosta also an und frage ihn, ob das Begleitfahrzeug abfahrtbereit ist, ich wolle in der Früh los. Auf dem Großglockner taut gerade die letzte, zehn Zentimeter dicke Schneeschicht. In Böhmen werden Regenschauern gemeldet, mancherorts aber kommt auch die Sonne durch. Ich fahre Richtung Revnice. Oje, die steil ansteigende Straße nach Mnisek hin ist wegen Kanalarbeiten gesperrt, ich versuche es also in vollem Tempo unter der Schaufel eines sich drehenden Baggers hindurch, aber um ein Haar hätte mich die Schaufel eines Arbeiters erwischt, der ob meines Manövers nicht gerade begeistert zu sein schien (zu meiner Überraschung winkt mir derselbe fröhlich zu, als ich ihn eine Woche später und 100 m weiter in der Gegenrichtung armeschwenkend grüße). Zweimal ziehe ich den Riemen fest, heute benutze ich lieber den härteren der schon „aufgetragenen“ alten Riemen. Das setzt mich in die Lage, die berüchtigte Bergstraße in Kamyk nad Vltavou (wenn auch nur unter Aufbietung aller Kräfte) in einem Zug zu nehmen. Durch eine malerische Landschaft dann nach Milevsko, wo ich an einer Tankstelle einer kurzen Regenschauer wegen eine Zwischenpause einlegen muss. Um Punkt 5 stehe ich in Budweis vor einer Autowerkstatt.
Peter hilft mir, die 15 Kilo schwere Packtasche in den Beiwagen zu wuchten. In einem Neubauviertel hängen wir dann nur noch essend, trinkend und schwadronierend über der Landkarte. Glockenschlag acht am nächsten Morgen bringen wir die BMW R12, Baujahr 1939, auf Temperatur und gehen auf die Strecke. Hinter der Stadt lösen wir uns das erste Mal ab – für mich, der ich noch nie ein Sidecar gesattelt hatte (den Korbwagen bei meiner alten Java zähle ich nicht mit) ,war das schon so etwas wie ein Schock, aber die erste Rechtskurve schaffe ich unfallfrei, und so wird auch der Rest wohl gut gehen. Als es zu nieseln beginnt, müssen wir hin und wieder das Verdeck zuknöpfen. In Österreich schaffen wir es hinter Dolni Dvoriste, nachdem wir von der Hauptstraße abgebogen sind, erst einmal gemütlich bis nach Bad Leonfelden. Nach einer schönen Steigung hat es der erste der vier Riemen schon hinter sich. Die Feuchtigkeit ist ihm offensichtlich nicht bekommen, er ist gerissen. Und weil auch der Rest rissig ist, stellen wir ihn erst gar nicht neu ein, sondern greifen gleich zum Reserveriemen. Schon etwas steilere Anstiege meistern wir ein ums andere Mal mit Bravour, ich genieße diese körperliche Anstrengung in vollen Zügen, der schon etwas träge gewordene Rentner hingegen leidet zusehends. Gegen zwei essen wir in Walding zu Mittag, und es sieht fast so aus, als ob sich die Sonne durchsetzen könnte. Wir studieren die Karte und müssen feststellen, dass wir an Linz, das wir extra umfahren hatten, wegen andernorts fehlender Donaubrücken nun wohl doch nicht vorbeikommen. Wie schön, dass über der Stadt nun auch noch ein Unwetter heraufzieht. Mit spürbar angekratztem Selbstvertrauen fahren wir in Richtung Zentrum. Peter steuert die Java rechts in die Fahrradfahrerspur. Auf den Pedalen stehend und mich an seiner Reflexweste orientierend, versuche ich jeweils zu erkennen, wo er abbiegt. Ich hole ihn jedes Mal ein, wenn er bei Rot an der Kreuzung anhalten muss. Ein pittoresker Anblick, wenn er wegen seiner bescheidenen Körpergröße über die Pedale auf die auf dem Ständer aufgesetzte Maschine springt und mit aller Kraft die Pedale malträtiert, bis der Motor schließlich anspringt. Bei Gelb beugt er sich dann energisch nach vorne, der Javurek „springt“ aus dem Ständer, der Reifen quietscht auf dem Asphalt, der Fahrer tritt ein wenig in die Pedale, um dem Motor auf die Sprünge zu helfen, und ist wieder auf und davon. Durchnässt, aber glücklich machen wir erst wieder am Nachmittag bei schönstem Sonnenschein an einer Tanke in Wilhering Halt.
Der Abschnitt zur Ausfallstraße nach Wels führt über kurvenreiche Sträßchen durch eine wunderschöne Landschaft. Dafür wollen die darauffolgenden zwei Stunden im Flachland Richtung Salzburg bei furchtbaren Verkehrsverhältnissen auf einer Straße erster Ordnung kein Ende nehmen. Wollten wir nicht unbedingt den Zeitplan einhalten, führen wir weiter auf der Landstraße. Aber wir hatten mit den Jungs vereinbart, dass sie am Samstagabend in Kaprun am Fuß des Berges auf uns warten, und so haben wir keine andere Wahl. Die Sonne brannte bis jetzt zwar ganz schön, aber vor uns ziehen am ganzen Horizont schon schwarze Regenwolken auf. Und bald nicht nur vor uns. Der Gedanke, dieser 67 Jahre alte Knacker könnte trotz Regens weiterfahren wollen, kommt mir gar nicht in den Sinn! Meine lange Jacke ist wasserundurchlässig, die neue dicke Hose aber ist schon bald klatschnass. Ich nehme also die Brille ab. Nun sind es schon anderthalb Stunden, dass ich das Sidecar im Regen durch die Serpentinen des schönen Alpenvorlandes steuere. Ein imposanter Anblick eröffnet sich auf jene von Bergriesen wunderschön umschlossene Stadt, die ihren Ruhm vor allem der Musik zu verdanken hat. Wir parken vor der Klavierwerkstatt von Hostas jüngerem Bruder, stellen unsere Maschinen ab und quartieren uns bei Peters Schwester ein. Bei einem munteren Schwätzchen schlagen wir uns den Bauch mit gebratenen Fischen voll und richten uns dann auf dem Küchenboden für die Nacht ein.